Mein lieber David,
(um direkt einen wirren Gedanken einzustreuen: Ich finde die Anrede „Mein lieber David“ gerade noch akzeptabel, dreht man diese jedoch um, also hätte ich zum Beispiel „David, mein Lieber…“ geschrieben, würde sich beim Lesen auch in mir einiges umdrehen. Besonders schlimm ist das bei Leuten, die den Namen dann komplett weglassen und beispielsweise ein Telefongespräch mit „Mein Lieber“ oder eine Mail mit „Meine Lieben“ beginnen, als wäre es das Normalste der Welt, dabei stellen sich mir dabei so viele Nackenhaare auf, dass ich safe bei Planet der Affen mitspielen könnte)
Danke für deinen Brief! Sorry, dass meine Antwort so lange gedauert hat, hatte einiges zu tun und war sehr beschäftigt die letzten Tage.
Bumms, direkt mit einem krachenden Megajoke gestartet, ich hatte natürlich absolut gar nichts zu tun und meine Beschäftigung bestand darin, alte SMS-Verläufe von 2017 zu lesen.
Mir geht es ganz gut soweit. Bin in der privilegierten Situation, mit gutem Gewissen den ganzen Tag zuhause rumhängen zu dürfen. Nichtstun fördert ja angeblich die Kreativität, Langeweile ist so gesehen berufsbedingt eigentlich mein absoluter Wunschzustand. Setze große Hoffnungen auf meine Langeweile. Wusstest du, dass Einstein seine Relativitätstheorie quasi nebenbei zuhause entwickelt hat, weil ihm in seinem normalen Job krass langweilig war? In meiner Vorstellung muss mir einfach nur kurz so richtig heftig langweilig werden und zack- hab ich drei Megahits von Beyoncé-Format geschrieben. Sitze jetzt den ganzen Tag in der Küche und warte darauf, dass möglichst wenig passiert. Bin bisher auf exakt zwei Gedanken gekommen:
Bin innerhalb der letzten Stunde dreimal zum Kühlschrank gelaufen und habe dreimal eine halbe Scheibe Gut&Günstig Tilsiter gesnackt. Das war mit Abstand meine beste Idee bisher.
Was ist sonst noch so passiert?
Es nervt mich ein bisschen, dass einem gerade überall auf Instagram und Facebook das Gefühl vermittelt wird, man müsse seine Quarantänezeit zur absoluten Selbstoptimierung nutzen. „Endlich Zeit um die Dinge zu tun, die du schon immer mal tun wolltest! Endlich mal kreativ sein! Endlich mal den Keller entrümpeln! Endlich mal eine Sprache lernen!“ Finde es ehrlich gesagt auch völlig OK, wenn man keinen Bock hat Tschetschenisch-Online-Sprachkurse zu machen und sich stattdessen den ganzen Tag sämtliche Tik-Tok-Cringe-Compilations auf Youtube reinzieht. Hab jetzt schon Angst vor der Welle an unlustigen Podcasts, die demnächst auf uns zurollen wird, weil die Leute sich denken: „Ach, ich bin doch eigentlich ein funny Dude, ich sollte unbedingt mal einen Podcast machen. Am besten mit meinem Kollegen, der ist doch ein funny Dude, dann können wir uns zusammen darüber unterhalten, was wir so für Funny-Dude-Dinge erleben.“ Das ist fast so, als würde man sich random Briefe hin und her schreiben und diese dann bei Instagram veröffentlichen.
So, langsam krieg ich Appetit auf Tilsiter, ich werde mich ganz bald wieder bei dir melden und dich daran teilhaben lassen, wenn ich durch den reißenden Fluss meiner Gedanken kraule.
Ich hoffe dir geht’s gut! Abbracci e baci,
dein Matze